WIE SCHREIBE ICH EIN BUCH? TIPPS VON EINEM GHOSTWRITER
Tatsächlich erreicht mich als Ghostwriter und Schreibcoach diese Frage relativ oft. Menschen kontaktieren mich mit wunderbaren Ideen für Geschichten, haben aber keine Ahnung, wie sie diese umsetzen sollen. Dabei geht es sowohl um den Ablauf, als auch um das Schreiben selbst. Wie soll ich das Schreiben organisieren? Was ist überhaupt eine Szene? Wie entwickle ich einen Plot? Grund genug, die wichtigsten Schritte in einem Blogeintrag in aller Kürze einmal festzuhalten – in der Allegorie eines Kochrezepts.
Der Plot – das Rezept
Der Plot ist wie das Rezept für eine fertige Mahlzeit – bestenfalls ein Mehr-Gänge-Menü – mit einer Liste aller Zutaten und der Zubereitungsbeschreibung. In einem Plot werden alle Figuren, ihre bisherige Geschichte, ihre innere und äußere Entwicklung, sämtliche Wendepunkte, Haupt- und Nebenhandlung inklusive Orts- und Zeitangaben festgehalten. Ich teile mir den Plot immer schon in Kapitel ein von rund 15 bis 25 Seiten. Im ersten Kapitel werden die wichtigsten Figuren und ihre Konflikte vorgestellt, im zweiten Kapitel nimmt die Handlung Fahrt auf. Etwas geschieht, das die Handlung in Gang setzt. Der Schriftsteller John Gardner hielt einmal fest:
In der gesamten Literatur gibt es nur zwei Arten von Literatur:
(John Gardner)
a) Jemand geht auf eine Reise
b) Ein Fremder kommt in eine Stadt
Die Figuren – die Zutaten
Frage dich: Was ist der grundlegende Konflikt deiner Hauptfigur, BEVOR die Handlung beginnt? Hat sie jemanden verloren? Träumt sie von etwas? Traut sie sich etwas nicht zu? Diesen inneren Konflikt soll sie im Laufe der Handlung überwinden und über sich selbst hinauswachsen. Im Englischen spricht man von wants und needs. Was wünscht sich die Hauptfigur und was braucht sie wirklich? Ein Beispiel: Eine weibliche Hauptfigur wünscht sich nichts sehnlicher, als den Mann für das Leben zu finden. Sie fühlt sich unvollständig und ungeliebt. Das ist es, was sie will – want. Was sie wirklich braucht, ist sich selbst so zu akzeptieren und zu lieben, wie sie ist – need.
Diese Hauptfigur braucht ein Aussehen, Eigenschaften, sie braucht Schwächen, Widersprüche und Stärken. Für ein gut schmeckendes, abwechslungsreiches Menü sind außerdem weitere Figuren notwendig – Freunde, Mentoren, Gegenspieler, ein Feind. Auch diese haben ihre Motive und handeln dementsprechend.
Die Handlung – die Zubereitung
Die so entwickelten Figuren lassen wir nun eine Handlung erleben. Es gibt das auslösende Ereignis und entlang der unterschiedlichen Motive entwickelt sich eine Handlung, die sich immer weiter zuspitzt. Das erreicht man am besten durch eine Reihe von Wendepunkten, die sich zu einem Höhepunkt steigern. Die Hauptfigur muss irgendetwas erreichen oder finden, sie muss einen Gegner besiegen, einen Mord aufklären oder eine Aufgabe vollbringen.
Zwischenzeitlich geschehen unerwartete Ereignisse, die das Erreichen des Ziels immer unwahrscheinlicher und zugleich immer wichtiger machen. So entsteht Spannung. Ein möglicher Kniff ist zum Beispiel aus vermeintlichen Verbündeten auf einmal einen Feind zu machen oder aus Feinden einen Freund. Es können mysteriöse Mentoren auftreten, die unserer Hauptfigur einen Rat oder eine Hilfestellung geben. Parallel zu dieser äußeren Reise erlebt die Hauptfigur auch eine innere Wandlung. Sie überwindet ein Trauma, sie findet zu sich selbst, sie befreit sich.
Weitere wichtige Fragen sind: Wo und wann spielt die Handlung? Wie ist die Stimmung? Gibt es ein besondere Setting, beispielsweise in einem Zug, einem Hochhaus, in einer Stadt, einer dystopischen Zukunft oder einer Fantasy-Welt?
Das Schreiben – das Kochen
Wenn wir unsere Figuren und unsere Handlung kennen, beginnt das eigentliche Kochen. Wir bereiten die Vorspeise zu (der Auftakt unserer Geschichte), das Hauptmenü (Handlung bis zum Höhepunkt) und die Nachspeise (das Ende). Wir halten uns an unser Rezept, aber zwischenzeitlich improvisieren wir auch – ganz wie beim Kochen.
Viele Autorenneulinge begehen den Fehler, im reinen Beschreiben ihrer Handlung und Figuren zu bleiben. Doch beim Schreiben von Romanen, Krimis, etc. geht es um das szenische Schreiben – das berühmte show, don’t tell.
Ein Beispiel:
Man kann schreiben: Anna war ein nettes Mädchen, das gerne mit seinen Rollschuhen fuhr und sonntags lange schlief. Sie wohnte in einem kleinen Haus am Stadtrand. -> Das ist erzählerisch noch nicht so spannend.
Oder: An einem sonnigen Sonntagmorgen wachte Anna in ihrem Bett auf und freute sich darauf, mit ihren Rollschuhen zu fahren.
„Anna“, sagte ihre Mutter. „Wenn du noch länger schläfst, verpasst du ja den ganzen Sonnenschein. Na los, raus aus den Federn!“
„Ich komme gleich“, sagte Anna und schwang sich aus dem Bett. Ein wenig verschlafen schleppte sie sich in das Badezimmer und putzte ihre Zähne. Dabei schnitt sie ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Keine halbe Stunde später sauste sie mit ihren Rollschuhen die Einfahrt ihres kleinen Elternhauses hinunter, das am Rand der Stadt in einer ruhigen, grünen Siedlung lag. Hier gab es wenig Autos, dafür viele Bäume, Parks und Spielplätze.
Eine Szene holt den Leser ab und besteht aus einem Anfang, Informationen über die Figuren, einem Dialog und einem Ende. Statt zu beschreiben, wie die Figuren sind oder was sie denken und fühlen, wird das über die Handlung abgebildet.
Gefühle & Konflikte – das Würzen
Das tollste Gericht schmeckt nicht, wenn die richtigen Gewürze fehlen. Beim Schreiben sind das starke Gefühle und Konflikte. Niemand interessiert sich für eine Hauptfigur, die nicht einen wahren Sturm widerstreitender Gefühle, Interessen und Bedürfnisse erlebt. Je intensiver die Gefühle abgebildet werden, umso besser schmeckt dem Leser unser Menü. Das Gleiche gilt für die Konflikte. Die Figuren müssen sich überlebensgroßen Herausforderungen gegenübersehen, damit die richtige Würze in einen Roman kommt. Auf diese Weise fiebern die Leser mit den Figuren mit – am besten in einem echten Wechselbad der Gefühle.
Überarbeiten – das Abschmecken
Jungautoren sind oft sehr ungeduldig. Der erste Entwurf des Manuskripts ist fertig, dann kann es doch jetzt veröffentlicht oder an Verlage geschickt werden. Nein! Jetzt kommt ein Arbeitsschritt, der mindestens genauso wichtig ist wie das Plotten und Schreiben selbst: das Überarbeiten.
Es gibt Schreibschulen oder Creative Writing Kurse, die bis zu 18 einzelne Schritte auflisten, wenn es um das Überarbeiten geht. Diese umfassen zum einen das Inhaltliche: Ist die Handlung schlüssig? Gibt es Widersprüche, Hinweise, die nicht aufgelöst werden? Kann ich meine Dialoge noch pointierter schreiben? Nimmt meine Handlung genug Fahrt auf und halte ich diese Spannung über das Buch hinweg? Muss ich noch etwas hinzufügen oder weglassen?
Zum anderen geht es um Rechtschreibung, Stil und Ausdruck: Sitzt jedes Komma, kann ich Sätze oder Absätze kürzen oder knackiger formulieren? Vermeide ich Wiederholungen? Finde ich die exakten Wörter, um etwas zu beschreiben? Ist mein Stil klar und flüssig?
Die Veröffentlichung – das Servieren
Wenn all diese Schritte abgeschlossen sind, dann ist ein Manuskript fertig für die Veröffentlichung – also entweder die Vorstellung bei einer Agentur oder einem Verlag oder dem Weg in die Selbstveröffentlichung mit anschließendem Lektorat, Layout, etc.
Wir können unser fertiges und mit viel Sorgfalt und Hingabe zubereitetes Menü unseren Gästen servieren und mit Spannung verfolgen, ob es ihnen schmeckt. Entsprechendes Feedback gehört dazu – damit wir es beim nächsten Mal noch besser machen. Denn: Nach dem Schreiben ist vor dem Schreiben. Viel Spaß dabei – und guten Appetit!