FAKT ODER FIKTION, WAS GEWINNT?

FAKT ODER FIKTION, WAS GEWINNT?

Wenn ich als Ghostwriter mit meinen Auftraggebern auf die gemeinsame Reise zu ihrem Buch gehe, dann kommt immer irgendwann der Punkt, an dem wir uns zwischen Fakt und Fiktion entscheiden müssen. Klar, bei Fantasy sind die Grenzen weiter gesteckt, doch auch in einem Science Fiction Roman müssen die Naturgesetze berücksichtigt werden, sonst gibt es Ärger mit den Fans.

Genau das führt uns zu einer wichtigen Frage: Muss sich ein Autor so weit es geht, an die Fakten halten, um “glaubwürdig” zu sein? Oder liegt der Ursprung von literarischer Glaubwürdigkeit ganz woanders?

In der Fantasie ist alles erlaubt…

So will es ein Sprichwort und das stimmt: Fiktion gibt uns Freiräume, die wir brauchen, um einen Plot spannend zu erzählen. Wir erfinden, verändern, streichen weg, gerade so, wie wir es brauchen. Wir können reale Begebenheiten als Vorlage, Inspiration oder schlicht als Ideensteinbruch verwenden, es gilt die berühmte “künstlerische Freiheit”. Wo diese endet, ist nur scheinbar schwer zu ermessen. Tatsächlich immer dann, wenn die Gefühle und Interessen real existierender Menschen oder die Würde Verstorbener verletzt wird. Bei den real existierenden Menschen kommt es dann noch einmal darauf an, ob sie berühmt sind, also von “öffentlichem Interesse”, oder nicht.

…Fakten hingegen setzen Grenzen

Nehmen wir an, wir dichten in einem Mystery-Roman einem Nonnenorden ein fieses, apokalyptisches Motiv an, weil es unserer Handlung eine dramatische Wendung gibt. Dürfen wir das dann? Das kommt darauf an, wenn der Nonnenorden ebenfalls fiktiv ist, dann schon. Bei einem realen Nonnenorden wäre ich vorsichtiger. Persönlichkeitsrechte, Urheberrechte und andere Rechte sind zu beachten, wenn ich über reale Menschen, Orte und Begebenheiten schreibe. Wem das zu kompliziert ist, der verlegt sich lieber auf fiktive oder historische Figuren.

Der Plot gewinnt!

Die Frage, ob Fakt oder Fiktion dem Vorrang gegeben werden soll, ist leicht zu beantworten: Der Plot entscheidet. Wenn die realen Begebenheiten so sind, dass sich eine Geschichte quasi “von selbst” schreibt, dann ist das prima, doch das ist in Wirklichkeit nur selten der Fall. Der Autor ist immer gefragt, Figuren, Dialoge, Orte und Begebenheiten zu verändern, um eine Spannungskurve zu zeichnen und seinen Figuren Raum zur Entwicklung zu geben. Nicht umsonst finden die meisten Menschen Geschichte als Wissenschaft eher langweilig. Erst die Fiktion bringt Spannung und Emotion hinein.

Der Leser möchte in erster Linie gut unterhalten werden. Das bedeutet, dass er einem guten Plot mit der richtigen Erzählweise so ziemlich alles “verzeiht”, auch historische Ungenauigkeiten. Mit denen sollte man es nicht übertreiben, sondern sie nur verändern, wenn der Plot es nicht anders zulässt.

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Erschreibe ein eigenes Universum…

Tatsächlich zeigt sich, dass die künstlerische Freiheit nicht nur für Genres wie Fantasy oder Science Fiction gilt. Jede Art von Roman ist frei, sich ein eigenes Universum zu erschaffen. Dieses Universum nennt man auch “Diegese”, was von dem antiken Widerspruch der Diegesis und der Mimesis abstammt, der Beschreibung und der Nachahmung. Jeder Roman, auch wenn er im Hier und Jetzt spielt, handelt den Regeln seines Universums, eines Universums, dessen Schöpfer der Autor ist. Er kann diese Regeln erschaffen, doch nicht einmal er kann im Verlaufe der Geschichte diese Regeln brechen, ansonsten fühlt der Leser sich hinter das Licht geführt. Das ist dann “unlogisch” – nach den Gesetzmäßigkeiten eines erfundenen Universums.

Der Spielraum dafür ist immer so groß, wie es erzählerisch nachvollziehbar gemacht werden kann. In dem erfolgreichen Roman “Das flüssige Land” von Raphaela Edelbauer etwa werden die Gesetze von Raum und Zeit stark verändert, dennoch käme niemand auf die Idee, das “Fantasy” oder “Sci-Fi” zu nennen, im Gegenteil, es ist hoch anspruchsvolle Erbauungsliteratur und nicht umsonst war es für den Deutschen Buchpreis 2019 nominiert. Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass Autoren ruhig mutiger sein dürfen bei der Erfindung ihres Universums, statt sich sklavisch an Fakten zu halten und dabei einen guten Plot verhindern. Letztlich ist es so: Auch die faktentreueste Nacherzählung ist letztlich Fiktion, solange niemand eine Zeitreisemaschine erfindet. Also, nur Mut!