DIE 13 MONSTER SCHLECHTEN SCHREIBENS

DIE 13 MONSTER SCHLECHTEN SCHREIBENS

Mit dem Schreiben lernen ist es wie mit allen Dingen – Übung macht den Meister. Wir alle verfügen über ein unerschöpfliches Maß an Fantasie, wir können uns Welten, Geschichten und Figuren ausdenken und sie handeln lassen. Damit beginnen wir schon, wenn wir als Kinder spielen oder tagträumen. Doch Schreiben bedeutet mehr, als Fantasie zu haben. Es heißt, eine Geschichte so zu erzählen, dass sie Leser ganz und gar in ihren Bann schlägt – und dabei keines der furchterregenden Monster schlechten Schreibens aus seinem Schlaf zu wecken.

Leider kann die Idee zu einer Geschichte noch so gut sein, wird sie schlecht umgesetzt, vergrault sie jeden noch so unerschrockenen Leser. Die 13 Monster schlechten Schreibens werden sie vertreiben, der Schrecken missglückter literarischer Höhenflüge wird voller Höllenqualen sein und zurück bleibt ein irritierter Leser, aus dem schnell ein wütender Rezensent wird und schon sind wir mittendrin in der schlimmsten Horrorstory, die es für angehende Autoren gibt. Schauen wir uns diese Spießgesellen einmal an:

I. Der erste Satz verfehlt das Ziel: In Schreibkursen lernt man immer, dass vom ersten Satz viel abhängt. Die drei folgenden Romananfänge gingen in die Geschichte ein:

Alle glücklichen Familien sind gleich, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Art unglücklich.
(Leo Tolstoi: Anna Karenina)

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein alleinstehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf.
(Jane Austen: Stolz und Vorurteil)

Die Vergangenheit ist ein fremdes Land: sie machen die Dinge dort anders.
(L. P. Hartley: The Go-Between)

Der erste Satz nimmt das Thema des Buches vorweg und stimmt auf die Prämisse, die grundlegende Aussage des Buches ein. Das kann düster sein wie bei Tolstoi, ironisch wie bei Austen und mysteriös wie bei Hartley sein. Ganz grundlegend sollte man ein Buch niemals damit beginnen, dass der Held morgens aus dem Bett aufsteht, auch wenn das naheliegend ist. Auch dabei gibt es Ausnahmen – Franz Kafka etwa in »Die Verwandlung« schreibt als ersten Satz:

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.
(Franz Kafka: Die Verwandlung)

Aber solange wir unseren Protagonisten nicht über Nacht in einen Käfer verwandeln, ist es sinnvoll, die Geschichte anders beginnen zu lassen.

II. Die ersten 40 Seiten setzen keine emotionale Reise in Gang: Kennt ihr das? Ihr lest den Klappentext eines Buches, findet es spannend und interessant, doch dann beginnt ihr mit dem Lesen und schon nach dem ersten Kapitel ist Schluss. Ihr quält euch aus Disziplin noch durch das zweite, doch dann lasst ihr das Buch liegen und nehmt euch vor, es »irgendwann zu lesen«.

Dieses »irgendwann« wird nie eintreten, doch eines Tages erzählt euch jemand von diesem absolut total überraschenden Ende, das ihr verpasst habt. Liegt es an euch, weil ihr faule Leser seid? Nein! Der Autor hat eine der entscheidenden Regeln beim Schreiben verletzt: Eine Geschichte muss den Leser innerhalb der ersten 40 Seiten einfangen, damit er unbedingt wissen möchte, wie es weitergeht. Dazu braucht es Emotionen – Schock, Trauer, Entsetzen, Angst, Wut, was auch immer. Lasst den Leser etwas fühlen – und die Achterbahn beginnen!

III. Zu viel Beschreibung statt Handlung: In Fantasyromanen und seit Neuestem auch bei Sci-Fi passiert das oft. Der Autor hat sich eine ganze Welt mit eigenen Gesetzen, Geschichte und Ereignissen ausgedacht und die möchte er jetzt dem Leser unbedingt begreiflich machen. Auch in realistischen Romanen kommt das vor: Der Autor beschreibt seitenweise lauter Sachen, anstatt seine Helden die Dinge einfach erleben, machen oder sagen zu lassen. »Show, don’t tell!«

IV. Absätze und Figuren ohne Funktion und Handlung: Gerade bei stark biografischen Romanen und in Erstlingswerken geschieht das ständig. Figuren und Begebenheiten tauchen auf, die in der Handlung keinerlei Funktion haben und später nicht mehr erwähnt werden. Solche Dinge auszumerzen, ist Aufgabe der gründlichen Überarbeitung, die zu viele Autoren noch immer vernachlässigen. »Kill your darlings!«

V. Künstlicher Dialog: Jede Geschichte lebt von den Handlungen und Dialogen ihrer Figuren, nicht von den Beschreibungen. Dialoge zu schreiben, heißt, eine Gratwanderung zu meistern. Auf der einen Seite dürfen Dialoge nicht exakt so sein, wie in der Wirklichkeit (Begrüßungen, Floskeln und Smalltalk lässt man weg), auf der anderen Seite darf ein Dialog nicht zu künstlich sein. Er muss den Charakter der sprechenden Person einfangen, ihre Herkunft, Bildung, Alter und vieles mehr. Das kann durch Umgangssprache, Ausdrücke, sogar durch kleine Fehler passiert. Entscheidend ist: Es muss authentisch wirken.

Wenn der russische Boxer zu seinem Mentor sagt: “Du kannst mir mal den Buckel runterrutschen”, dann hat das nicht die gleiche Wucht wie “Leck mich am Arsch, Mischa” oder “Fick dich, Sascha!”

VI: Figuren ohne Motiv und Backstory: Auch das kennt vermutlich jeder Leser. Ein Bösewicht (oder eine Heldin) tritt auf den Plan und agiert, ohne, dass wir wissen warum. Das kann ein Mittel zum Spannungsaufbau sein, doch irgendwann müssen wir etwas über Motive und Vergangenheit erfahren. Übrigens sollte man dabei auf ausgelutschte Klischees verzichten: Die Heldin, die eine Vergewaltigung erlebt hat, und jetzt wahlweise auf Rache sinnt oder traumatisiert ist, ist ebenso fantasielos, wie der tragische Held, der seine Familie verloren hat.

VII. Kein Konflikt in Sicht: Konflikte sind der Motor einer Handlung. Je mehr wir von ihnen haben, innere, äußere, kriegerische, umso atemloser macht das unsere Handlung. Die besten Autoren (wie zum Beispiel Stephen King) stellen ihre Protagonisten vor unlösbare Situationen und schauen dann zu, wie sie sich daraus befreien. Grausam? Ja! Aber verdammt spannend!

VIII. Wendepunkte zu früh, zu spät oder gar nicht: Auch wenn es weitere Modelle gibt, die berühmte 3-Akt-Struktur ist immer noch das beste Grundgerüst, um eine Geschichte zu organisieren. Dabei ist es hilfreich, sich anzusehen, wie Drehbuchautoren das machen. Da kommt nach 30 Minuten Film der erste Wendepunkt, der die Geschichte in eine bestimmte Richtung lenkt und kurz vor dem Ende der zweite. Genau so muss es sein!

IX. Wortungeheuer aus Bildern, die keinen Sinn ergeben: Ja, es macht Spaß, sich schöne Wortbilder auszudenken. Aber das kann auch mächtig schief gehen. Deshalb lieber bescheiden bleiben und weder in Klischees noch in Lächerlichkeiten abgleiten. Ein Kinn, das »wie Wackelpudding an einem warmen Sommermorgen zitterte«, kann vielleicht als Satire funktionieren, als ernsthaftes Schreiben nicht.

X. Keine klare Struktur in Szene und Absatz: Ein Absatz beginnt mit einem einleitenden Satz, der anschließend erklärt wird. Eine Szene strukturiert man durch eine bestimmte Handlung, einen Dialog, einen Hinweis auf den Hintergrund der Geschichte und ihr erkennbares Ende, bevor die nächste Szene beginnt. Diese Struktur ermöglicht es, dem Leser immer wieder emotionale Impulse und Hintergrundinformationen zu geben und gleichzeitig die Handlung vorangetrieben. Szenen und Absätze, die nicht strukturiert sind, sind der beste Weg, um Leser zu vergraulen.

XI. Unglaubwürdige Wendungen: Man kennt das ja. Irgendwie hat man den Held jetzt auf seine Reise geschickt, der erste Entwurf ist fast fertig und jetzt möchte man schnell zum Ende kommen. Also zaubert man irgendetwas aus dem Hut, um dem Plot eine Wendung zu geben, etwas, das vorher kaum eine Rolle gespielt hat und für den Leser auch nicht nachvollziehbar ist. Der berühmte deus ex machina gehört dazu.

XII. Zu viel Plot, zu wenig Spontanität: Es gibt Menschen, die am Plotten eine Menge Freude haben. Mir macht es auch Spaß, mir zu überlegen, wie eine Geschichte abläuft und endet. Das Problem daran: Meistens denkt man sich den Plot aus, bevor man seine eigenen Figuren und die Welt, in der sie handeln, genau zu kennen. Erst während man schreibt, taucht man in die tieferen Schichten der eigenen Schöpfung ein und wenn man dann all zu sklavisch an einem Plot festhält, dann wirkt es schnell künstlich. Übrigens: Stephen King plottet nie. Er denkt sich Konflikte aus, mit denen seine Protagonisten klarkommen müssen.

XIII. Kein befriedigendes Ende: Gerade wenn ein Buch noch eine Fortsetzung hat, juckt es in den Fingern, noch möglichst viel offen zu lassen und das ist auch gut so. Trotzdem hat der Leser es verdient, dass so viele Handlungsstränge wie möglich aufgelöst und Fragen beantwortet werden. Vor allem muss er, auch wenn das Ende unerwartet kommt, das Gefühl haben, er hätte es wissen müssen, weil es entsprechende Hinweise gab. Gar nicht so einfach zu schaffen!

Wenn du nach dem Lesens über so viel Horror des Schreibens Lust hast, mit mir als Schreibcoach zusammenzuarbeiten, dann schreib mir eine Nachricht über mein Kontaktformular! Gemeinsam gehen wir in deinem Manuskript auf Schreibmonsterjagd und sorgen dafür, dass deine Geschichte jeden Leser von der ersten Seite an fesselt.