DIE HELDENREISE

DIE HELDENREISE

Der Anthropologe Joseph Campbell entdeckte die Heldenreise als das klassische Plotmuster vieler Erzählungen, von Homers Odyssee und der Ilias bis hin zum Gilgamesch-Epos. Später griffen Disney und viele Hollywood-Größen das Plotmuster auf, es findet sich in Star Wars, Herr der Ringe und Harry Potter und ist die Grundlage vieler großer Erzählstoffe von Gegenwart und Vergangenheit.

Zugleich kann es uns beim Schreiben helfen, unsere Geschichte zu strukturieren, Konflikte zu schaffen und die innere und äußere Wandlung von Held oder Heldin. Gerade die innere Wandlung spielt eine wichtige Rolle. Anhand des äußeren Konflikts reift der Held oder die Heldin und erkennt seine/ihre wahre Stärke. Im Angesicht eines übermächtigen Gegners, einer Herausforderung oder einer Bedrohung muss der Protagonist/die Protagonistin zeigen, was wirklich in ihm/ihr steckt und sich seinen/ihren tiefsten Ängsten und Zweifeln stellen.

Die Reise in die Unterwelt kommt damit auch einer Reise in die eigene Unterwelt gleich, wo wir uns unseren Schattenanteilen stellen müssen. Wovor laufe ich weg? Was möchte ich über mich selbst nicht wissen? Solange ich das nicht verdränge, bin ich schwach. Erst wenn ich der Wahrheit über mich selbst in das Gesicht sehe, also am tiefsten Grund der Höhle in den Spiegel sehe, gelange ich zu meiner wahren Stärke. In der Heldenreise liegt dieser Moment vor dem Kampf mit dem Endgegner bzw. wird mit diesem parallelisiert. Die innere und äußere Reise von Held oder Heldin werden gleichzeitig erzählt.

Das sind die Stationen der Heldenreise:

1. Die gewohnte Welt: Wir begegnen dem Helden/der Heldin in seinem/ihrem Alltag. Meistens ist dieser Alltag ein wenig langweilig oder von oberflächlichen Konflikten gekennzeichnet. Der Held/die Heldin passt nicht so richtig in sein soziales Umfeld oder in das Leben, das er/sie sich gewählt hat.

2. Der Ruf: Etwas geschieht, das den Helden/die Heldin auffordert, zu handeln. Das kann ein unerwartetes Ereignis, eine Begegnung, ein Brief oder etwas anderes sein.

3. Die Weigerung: Der Held/die Heldin weigert sich, dem Ruf zu folgen. Er/sie möchte seine gewohnte Welt nicht verlassen, sucht nach ausreden, ignoriert den Ruf.

4. Die Begegnung mit dem Mentor: Etwas geschieht, was den Held/die Heldin umstimmt. Der Mentor kann eine reale Figur, eine Erinnerung, ein Talisman, eine Geschichte oder etwas anderes sein, das den Held/die Heldin davon überzeugt, dass er die Aufgabe übernehmen muss.

5. Das Überschreiten der ersten Schwelle/Eintritt in die Unterwelt: Der Held/die Heldin bricht zu seinem Abenteuer auf und verlässt endgültig die gewohnte Welt. Ein Ereignis tritt ein, das deutlich macht, dass es ab jetzt kein Zurück mehr gibt. Dieses Ereignis wird durch eine Entscheidung, einen Aufbruch markiert. Auch im Inneren des Helden/der Heldin geschieht etwas. Er/sie beginnt, sich selbst in Frage zu stellen und zu verändern.

6. Bewährungsproben: Der Held/die Heldin wird vor Herausforderungen gestellt, in denen er/sie sich bewähren muss. Er/sie lernt dabei neue Seiten an sich kennen. Möglicherweise lernt er unerwartete Verbündete kennen, begegnet aber auch Feinden. Es kann hier zu Wendungen kommen.

7. Vordringen zur tiefsten Höhle: Der Held/die Heldin erkennt, dass das, was er/sie sich unbedingt wünscht, gar nicht das ist, was er eigentlich braucht. Eine Wandlung geht vor sich. Er/sie erkennt sich selbst. Ein Ernüchterungsprozess tritt ein. Manchmal denkt der Held jetzt sogar über das Aufgeben nach. Es wird noch unwahrscheinlicher und noch wichtiger für den Helden/die Heldin, sein/ihr Ziel auch zu erreichen.

8. Entscheidende Prüfung: Der Held/die Heldin muss sich seiner/ihrer Feuerprobe stellen. Er begegnet dem »Endgegner«, muss in den Endkampf ziehen und sich der unangenehmsten Wahrheit über sich selbst stellen.

9. Das Elixier: Der Sieg über den Gegner und das Erkennen der Wahrheit über sich ist das Elixier/das neue Wissen, mit dem der Held/die Heldin zurückkehren kann, um in seiner gewohnten Welt für eine neue, bessere Ordnung zu sorgen/sich selbst zu heilen.

10. Rückweg: Der Held/die Heldin tritt den gefahrvollen Rückweg in die Oberwelt an, bei der er/sie aufpassen muss, sich selbst nicht zu verlieren. Er kommt in Todesnähe.

11. Individuation: Der Held/die Heldin erfährt durch das neue Wissen/die Reise einen Wandel seines/ihres selbst. Er ist nicht mehr der/die, als der er/sie zu der Reise aufgebrochen ist.

12. Rückkehr in die gewohnte Welt/Herr zweier Welten: Der Held/die Heldin kehrt mit dem neuen Wissen zurück und kann dort für Heilung/eine neue Ordnung sorgen und erfährt Anerkennung und Ruhm.

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